Steuerinfos für Rentner Nr. 95                                                 14.11.2015

Was ist Steuerhinterziehung oder -verkürzung und was ist legale Steuergestaltung (Paradise Papers)?

1.   Vorbemerkung
Die jüngsten Talkshows und Fernsehdiskussionen beschäftigen sich umfangreich und für den Laien häufig verwirrend bzw. irreführend mit den Paradise Papers. Diese befassen sich damit, wer Steuern hinterzogen hat oder nur durch legale Gestaltung von Sachverhalten gesetzliche Möglichkeiten zur Reduzierung seiner Steuerlast genutzt hat. Obgleich die Minderung seiner Steuerbelastung oder Nutzung von Steuersparmöglichkeiten bei den meisten Steuerzahlern als kleiner Sport bei der Erstellung der Bilanz und Steuererklärung betrachtet wird, decken die Paradise Papers die Fälle auf, in denen selbiges in großem Umfang geschehen ist und als unmoralisch gegenüber der breiten Masse der Steuerzahler betrachtet wird.

In den öffentlichen Diskussionen wird das Thema steuerrechtlich nur an der Oberfläche behandelt, wodurch meist der Eindruck entsteht, dass von der Presse wieder ein Sumpf der Steuerunehrlichkeit aufgedeckt wurde, der ausgetrocknet werden muss. Es scheint daher notwendig, die Thematik einmal grundsätzlich darzustellen und zu erläutern. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der illegalen Steuerumgehung und -verkürzung, die auch strafbar ist, und den unternehmerischen Entscheidungen, die zu einer gesetzlich zulässigen Minderung der Ertragsbesteuerung bzw. umsatzsteuerlichen Gestaltung führt.

2.   Steuerverkürzung bzw. -umgehung
Der gravierendste Fall der Steuerhinterziehung ist der, dass eindeutig erzielte Einnahmen im Unternehmen als solche bewusst nicht erfasst werden und dadurch der steuerpflichtige Umsatz und der Gewinn des Unternehmens gemindert werden und darauf entsprechend weder Umsatz- noch Ertragsteuern erklärt und gezahlt werden. Entsprechendes gilt, wenn andere Einkünfte wie z.B. Zinseinkünfte oder freiberufliche Einkünfte oder Renten in der Einkommensteuererklärung nicht angegeben werden und darauf somit keine Ertragsteuern festgesetzt werden können.

Diese Fälle der Steuerhinterziehung sollten bei Zinseinkünften und anderen Kapitalerträgen durch die Einführung der Abgeltungssteuer bekämpft werden und haben auch zu vielfältigen Selbstanzeigen und vollständigeren Besteuerungen dieser Einkunftsart geführt. Dennoch wird bei normalen Einkommensteuerpflichtigen gern versucht, seine Einkünfte legal in ein Land zu verlagern, das den niedrigsten Einkommensteuersatz hat.

Bei Unternehmen, die international tätige Verbindungen unterhalten wie Großkonzerne kann die Nutzung niedriger Steuersätze dadurch erreicht werden, dass sie eine notwendige Betriebserweiterung z.B. durch Firmenneugründungen in einem Niedrigsteuerland realisieren und Geschäftsbeziehungen unter den Konzerngesellschaften durch Preisvereinbarungen oder Dienstleistungen beeinflussen, die eine Gewinnverlagerung bewirken. Hier ist es in der Regel Aufgabe einer Betriebsprüfung, dieses zu prüfen und ggf. zu korrigieren. Entsprechendes gilt, wenn zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung unterschiedliche Rechtsauffassungen bestehen, die ggf. erst durch die Gerichte entschieden werden müssen.

Das Problem der Gewinnverlagerung würde innerhalb der EU durch eine Vereinheitlichung der Steuersätze und eine stärkere Abstimmung zwischen den Steuerverwaltungen an Bedeutung verlieren, ist aber wegen der notwendigen Zustimmung aller Mitgliedsländer nur schwer durchsetzbar. Dieses gilt erst recht für die Beziehungen zu Drittländern. 

Steuerehrlichkeit wäre das Gebot der Stunde.
Das gilt für einen Handwerker, der private Bewirtungsrechnungen als Betriebsausgaben verbucht und dem Arbeitnehmer, der die Kilometer zwischen Wohnort und Betrieb zu hoch ansetzt, genauso wie für Großunternehmen, die zu sehr auf die Optimierung des Unternehmensergebnisses setzen
.

3.   Steuergestaltung
Wie oben schon angedeutet, befassen sich die Paradise Papers mit den Fällen, in denen Projekte mit großer Auswirkung den Eindruck erzeugen als würden Steuern vermieden oder verkürzt und ginge dieses zu Lasten aller Steuerzahler. Steuergestaltung heißt in diesem Zusammenhang die Nutzung von legalen Gesetzesalternativen.

Wie sich aus der Tabelle über die Unternehmenssteuerbelastungen und die Einkommensteuer- sowie MWSt-Sätze für 2004 und 2016 ergibt, haben sich die Steuersätze in der EU in den vergangenen 12 Jahren doch sehr stark verändert. Während 2004 Deutschland bei den Unternehmenssteuern mit 38,7% noch an erster Stelle in der EU lag, liegt es 2016 mit knapp 29,83 % nur noch an 5. Stelle. Dennoch macht der Unterschied zu den Niedrigsteuerländern noch rd. 18 % aus und bildet damit nach wie vor einen Anreiz, die Steuer in anderen Ländern entstehen zu lassen.

Darüber hinaus gibt es auch EU-Staaten, die mit transnationalen Unternehmen spezielle Abkommen abschließen, wodurch erhebliche Steuern gespart werden können. Luxemburg, Großbritannien, Belgien, Österreich, Malta und Zypern werden in diesem Zusammenhang genannt. Dazu kommen Nicht-EU-Staaten wie die Kanalinseln Guernsey, Jersey und Isle of Man sowie Kleinstaaten wie Lichtenstein, Monaco, Andorra, Gibraltar und die Kanarischen Inseln und diverse Steueroasen in Asien und Ozeanien (z. B. Panama, Caymaninseln, Bermudas) und Afrika (Liberia, Ghana und Botswana).

Der Kampf gegen Steuerbetrug und -vermeidung ist ein Anliegen aller demokratischen Parteien und hat auch bei den Sondierungsgesprächen zur Bildung einer neuen Regierung eine große Bedeutung. Dass in den letzten Monaten zahlreiche Gesetzesänderungen und Abkommen diesem Ziel dienen, zeigt die Zusammenstellung in den Steuerhinweisen für Rentner Nr. 91 vom 14.7.2017. Das Bundeskabinett hatte bereits nach Bekanntwerden der „Panama Papers“ einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften beschlossen. Die „Paradise Papers“ dehnen dieses Problem auf die legale Steuervermeidung aus und beleben die öffentliche Diskussion erneut. Dabei wird auch der Verlust von Mehrwertsteueraufkommen durch die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen und sonstigen Leistungen am Beispiel der Einfuhr eines privaten Flugzeugs durch den Rennfahrer Hamilton besonders angeprangert.

Mit Einführung der Mehrwertsteuer wurde ab 1969 darauf abgestellt, dass bei Lieferungen und sonstige Leistungen an private Endverbraucher die MWSt endgültig entsteht und vom Kunden zu tragen ist. Bei Lieferungen und sonstige Leistungen an Unternehmer werden zwar ebenfalls Steuerbeträge in Rechnung gestellt, diese MWSt kann der Abnehmer aber als Vorsteuer seiner MWSt-Schuld gegenrechnen. Im Ergebnis erhält der Fiskus nur die Steuer auf den Preis, den der private Endabnehmer für die Leistung zahlt.
Beispiel 1:

Der Einzelhändler kauft im Inland eine Ware für 100 € zuzüglich 19% MWSt (19 €) ein und verkauft sie an einen privaten Kunden für 200 € zuzüglich 38 € MWSt weiter. Der Endkunde trägt somit die MWSt von 38 €. Der Händler muss aber nur 19 € ans Finanzamt abführen, weil er die von seinem Vorlieferanten berechnete und ans Finanzamt abgeführte MWSt von 19 € als Vorsteuer auf seine MWSt von 38 € anrechnen kann.

Ein Vorsteuerabzug entfällt, wenn die Vorleistungen der Bewirkung steuerfreier Umsätze dienen. In diesem Fall ist die Vorsteuer nicht anrechenbar und wird zum Kostenfaktor und führt zu der beabsichtigten Endverbrauchsbelastung. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein Umsatz zwar steuerfrei ist, hierauf aber verzichtet werden kann, um den Vorsteuerabzug zu erreichen. Hier kann mit einer Bindungsfrist von 5 Jahren auf die Steuerfreiheit bzw. bei Kleinunternehmern (§19 UStG) die Nichtbesteuerung der Umsätze verzichtet werden.

Beispiel 2:
Ein Bauunternehmer baut für ein Wohnungsunternehmen ein Geschäftshaus, das an Unternehmer vermietet werden soll, die dort ihre Unternehmenstätigkeit ausüben wollen und damit auch die Möglichkeit haben, Vorsteuern abzuziehen. Das Wohnungsunternehmen optiert für die Steuerpflicht der steuerbefreiten Mietumsätze und berechnet ihren Mietern MWSt-Beträge, die diese als Vorsteuern abziehen können. Das Wohnungsunternehmen kann die gesamten für den Neubau entstandenen MWSt-Beträge als Vorsteuern geltend machen und hat dadurch einen Finanzierungsvorteil, weil die MWSt auf die Mieteinnahmen erst über Jahre anteilig anfallen.

Werden Umsätze über die innergemeinschaftliche Grenze bewirkt, ist die Lieferung grundsätzlich steuerfrei. Dafür muss der einführende Unternehmer in seinem Land die Einfuhr mit dem im Einfuhrland geltenden Steuersatz als innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern. Er kann diese Steuer aber als Vorsteuer auf seine MWSt-Schuld anrechnen. Dadurch wird die Steuerbelastung auf das Inlandsniveau gesenkt bzw. angehoben und der private Kunde im Inland wie im obigen Beispiel 1 nur mit der Steuer lt. dem Steuersatz seines Verbrauchslandes belastet. Um die Erfassung der steuerfreien innergemeinschaftlichen Umsätze für die Besteuerung der Einfuhr überprüfen zu können, müssen die exportierenden Unternehmer ihre innergemeinschaftlichen Umsätze in einer gesondert zu erstellenden Zusammenfassenden Meldung deklarieren, was z.T. mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Umsätze birgt aber auch die Gefahr von Aufkommensausfällen durch Nichtbesteuerung der Einfuhren bzw. Konkursausfällen.

Das Mehrwertsteuersystem erfordert zur Erlangung eines endgültigen Systems nach Umsetzung der 6. EU-Richtlinie nach wie vor eine Vereinheitlichung der MWSt-Sätze und eine einheitliche Besteuerung nach dem Leistungsort im Inland (Sitzortprinzip). Das derzeitige Verfahren der Sicherstellung des Steueraufkommens durch Zusammenfassende Meldungen wird dem nicht gerecht und gilt nach wie vor nur als Übergangslösung bis zu einem endgültigen Verfahren. Die bereits 1993 von mir in die Diskussion gebrachte Besteuerung aller innergemeinschaftlichen Umsätze am Sitzort des Unternehmers mit einem einheitlichen MWSt-Satz von z.B. 20% und entsprechendem Vorsteuerabzug durch den unternehmerischen Leistungsempfänger hätte das Steuerrisiko erheblich gemindert und gleichzeitig den Ausgleich des Steueraufkommens durch ein einfaches Clearing ermöglicht. Auch mit dem Electronic Commerce ist dieses nicht aufgegriffen worden, obgleich die Einführung des EURO ein Clearing vereinfacht hätte.
Die Anhebung des deutschen MWSt-Satzes auf 19 % war daher notwendig, um die Nachteile der MWSt-Differenzen für deutsche Unternehmen zu minimieren (Thema Reimporte). Die Bandbreite der Steuersätze liegt in der EU im Jahre 2016 aber immer noch zwischen 17 % und 25 %.


4. Fazit
Der Kampf gegen Steueroasen wird nur schwer zu führen sein, insbesondere dann, wenn sie legal sind. Daher ist das öffentliche Bekanntmachen der Paradise Papers ein wesentliches Mittel um zielgerichtet notwendige Gesetzesmaßnahmen in den einzelnen Ländern und der EU zu ergreifen. Die Vereinheitlichung der Steuersätze innerhalb der EU wäre ein Schritt, um mehr Gerechtigkeit und Steuergleichheit zu erreichen.

Helmut Laser

Anlage

Vergleich der Unternehmenssteuern (einschl. Gewerbesteuer und ähnlichen Steuern), der Einkommensteuerspitzensteuersätze und der Mehrwertsteuernormalsteuersätze in der EU und einigen wichtigen Industrieländer untereinander

Steuersätze   
in %

Unternehmens-steuern (1)

Unternehmens-steuern (1)

Einkommenst.
Spitzensatz (1)

Mehrwertst. (normal)

Mehrwertst. (normal)


2004

2016

2016

2004

2016

Bulgarien


10,00

10,00


20,00

Irland

12,50

12,50

48,00

21,00

23,00

Zypern

15,00

12,50

35,00

15,00

19,00

Lettland  

15,00

15,00

23,00

18,00

21,00

Litauen

15,00

15,00

15,00

18,00

21,00

Rumänien


16,00

16,00


20,00

Slowenien

25,00

17,00

50,00

20,00

22,00

Polen

19,00

19,00

32,00

22,00

23,00

Tschechien

28,00

19,00

22,00

19,00

21,00

Estland

0,00

20,00

20,00

18,00

20,00

Finnland

29,00

20,00

51,25

22,00

24,00

Kroatien


20,00

47,20


25,00

Großbritannien

30,00

20,00

45,00

17,50

20,00

Ungarn

18,00

20,62

15,00

25,00

27,00

Dänemark

30,00

22,00

51,95

25,00

25,00

Schweden

28,00

22,00

57,10

25,00

25,00

Slowakei

19,00

22,00

25,00

19,00

20,00

Portugal

27,50

22,50

56,50

19,00

23,00

Niederlande

34,50

25,00

52,00

19,00

21,00

Norwegen

28,00

25,00

38,70


25,00

Österreich

34,00

25,00

55,00

20,00

20,00

Spanien

35,00

25,00

45,00

16,00

21,00

Griechenland

35,00

29,00

55,00

18,00

24,00

Luxemburg

30,40

29,22

44,10

15,00

17,00

Deutschland

38,70

29,83

47,48

16,00

19,00

Italien

33,00

31,40

48,28

20,00

22,00

Belgien

34,00

33,99

53,50

21,00

21,00

Malta

35,00

35,00

35,00

18,00

18,00

Frankreich

35,40

38,00

54,61

19,60

20,00







Schweiz   (Zürich)

25,00

20,65

39,97


8,00

Kanada   (Ontario)

36,10

26,50

53,53


5,00

Japan

40,90

32,26

55,95


8,00

USA (New   York)

39,90

39,23

47,27



1) In Deutschland einschließlich 5,5 % Solidaritätszuschlag
Quelle: Bundesministerium der Finanzen